Aargauer Zeitung, Montag 19.April 2004 

Wer ist schuld am Baregg-Unglück?

Tunnelbrand: Von verschiedenen Ablaufvarianten und voreiligen Schuldzuweisungen

Wie ist der Auffahrunfall am Mittwoch im Bareggtunnel wirklich abgelaufen? Nachdem am Anfang alles relativ klar schien, gab sich die Polizei - anders als einige Medien - schon kurz danach in dieser Frage sehr zurückhaltend.

Alois Felber

Schon wieder!» - An sich sind Auffahrunfälle am Baregg nichts Aussergewöhnliches. Doch als am Freitagnachmittag erneut sechs Fahrzeuge - diesmal in der Südröhre - am Baregg ineinander krachten, durchzuckte dieser Gedanke wohl so manchen, der davon hörte. Auch wenn die Kollision diesmal - anders als am Ostermontag und am vergangenen Mittwoch - glimpflich ablief, drängte sich die Frage auf: «Hört das eigentlich nicht mehr auf?» Dies, zumal es seit dem Osterwochenende auf den Aargauer Strassen fast täglich zu schweren Unfällen gekommen ist und bis zum letzten Samstag innerhalb einer Woche vier Menschen im Aargau ihr Leben im Strassenverkehr verloren.

Was um 15.30 Uhr am Freitag auf den Fahrspuren Richtung Zürich genau geschah, ist noch nicht klar. Die verschiedenen Fahrzeuglenker machen laut der Mitteilung der Kantonspolizei teilweise widersprüchliche Aussagen über den Unfallhergang. Die mobile Einsatzpolizei in Schafisheim sucht weitere Zeugen (062 886 88 88).

Hergang ist unklarer, als es schien

Ähnlich ist die Situation auch nach wie vor beim Horrorunfall in der neuen dritten Röhre vom vergangenen Mittwoch. Wer hier wofür verantwortlich war, wird von der Polizei nach wie vor untersucht. Wie die MZ am Freitag berichtete, waren schon am Tag nach dem Unglück Zweifel an der ursprünglich kommunizierten Version des Hergangs aufgekommen, die unter anderem auf der Befragung der Chauffeure basierte. Nach dieser Version war ein 56-jähriger für eine Hindelbanker Transportfirma fahrender serbischer Chauffeur mit seinem Melasse transportierenden Tanklastwagen mit grosser Wucht auf eine stehende Kolonne aufgefahren und hatte den vor ihm stehenden österreichischen Lastwagen auf den Jeep einer 52-jährigen Frau aus Wettingen katapultiert. Die Frau starb im völlig zerdrückten brennenden Wagen. Was aber einigen Beobachtern schon am Unfallort aufgefallen war: Die Beschädigungen an der Front des Hindelbanker Tanklastwagens erschienen für dieses Szenario relativ geringfügig zu sein. Die Frage drängte sich daher auf: War der Tanklastwagen wirklich mit grosser Wucht auf eine stehende Kolonne aufgefahren? Unbestritten ist, dass der serbische Chauffeur, aus welchen Gründen auch immer, tatsächlich nicht rechtzeitig anhalten konnte, und in das Heck des Lastwagens vor ihm krachte. Hatte der 27-jährige österreichische Chauffeur vor ihm aber tatsächlich noch vor dem Jeep halten können und wurde erst vom nachfolgenden Lastwagen auf ihn hinauf katapultiert? Die Kantonspolizei will zu den laufenden Ermittlungen, den Aussagen der Chauffeure oder ihren eigenen Vermutungen keine genaueren Angaben machen, um nicht weitere, möglicherweise auch nur falsche Ablaufversionen und Anschuldigungen in Umlauf zu setzen. Bereits seit vergangenem Donnerstag ist aber klar: Eindeutige Schuldzuweisungen an die Adresse des in einem Berner Vorort wohnenden Serben waren letzte Woche verfrüht. Diesem Umstand hatte die Berichterstattung dieser Zeitung Rechnung zu tragen.

Chauffeur bestreitet Verantwortung

Auch dem «SonntagsBlick» ist nun aufgefallen, dass rund um die Kollision nicht alles so klar ist, wie es schien. Der im «Blick» als «Todeschauffeur» bezeichnete 56-Jährige selbst ist laut «SonntagsBlick» überzeugt, nicht die Schuld am Tod der Wettingerin zu tragen. Vor ihm sei keine stehende Kolonne gewesen. Er habe schon früh gemerkt, dass der vor ihm fahrende Lastwagen bremse, habe sofort selber gebremst, dann mit seinem 34-Tönner auch eine Vollbremsung gemacht. Doch es habe nicht mehr gereicht. Obwohl nicht angegurtet, sei er selbst nur leicht an der linken Hand verletzt worden und habe eine Prellung am Knie erlitten. Der Chauffeur ist überzeugt, dass dies zeige, wie schwach der Aufprall seines Lastwagens auf den Laster vor ihm wirklich gewesen sei. Rückendeckung erhält er dabei von seiner Firma, die ihm bescheinigt, bisher «einen tadellosen Job» gemacht zu haben. Ob er Recht hat oder letztlich doch die Hauptverantwortung am folgenschweren Auffahrunfall trägt, werden aber nur die Ermittlungen zeigen können. Die Unfallspuren werden dafür noch genauer ausgewertet.

Autos und Lastwagen «entflechten»?

Wozu diese Untersuchung aber auch immer führen wird: Der Unfall am Baregg hat am Mittwoch wieder einmal gezeigt, dass das Nebeneinander von Autos und Lastwagen im immer dichter werdenden Verkehr für die schwächere Seite tödliche Risiken birgt. Erneut ist eine Schwerverkehrs-Sicherheitsdiskussion losgetreten worden. Während der Aargauer SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner eine Entflechtung von Autos und Lw durch ein obligatorisches Linksfahren von Autos und Rechtsfahren von Lastern in Autobahntunnels erreichen will, wird hierzu vom ACS sogar eine Aufhebung des Nachtfahrverbots für Lastwagen gefordert.