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Baregg-Unfall: Einsatzbericht der Feuerwehr Wettingen

 

  Die Autobahn A1 gehört im Bereich des Baregg-Tunnels zu den meistbefahrenen Strassenabschnitten der Schweiz. Am Mittwoch, den 14. April 2004, ereignete sich in der neuen, dreispurigen Tunnelröhre Fahrtrichtung Bern, ein schwerer Verkehrsunfall. Die Stützpunktfeuerwehren von Wettingen und Baden standen dabei während fünf Stunden im Einsatz. Obwohl ein Menschenleben zu beklagen war, ging das Ereignis noch relativ glimpflich aus. Wären an Stelle von Zuckermelasse und leeren Medizinalflaschen gefährliche Güter auf den involvierten Lastwagen transportiert worden, hätte die Kollision mit anschliessendem Brandausbruch auch weit schlimmer ausgehen können.

Kurz vor 14 Uhr blieb ein Personenwagen wegen einer Panne auf der rechten Fahrbahn des dreispurigen Baregg-Tunnels rund 300 Meter vor dem Tunnelportal West stehen. Die nachfolgenden Fahrer wurden vom Hindernis überrascht. In die Auffahrkollision waren insgesamt vier Lastenzüge – wovon einer Fahrerflucht beging – und ein Personenwagen verwickelt. Das von einem Sattelschlepper überrollte Auto geriet in Brand, das Feuer erfasste ebenfalls die Kabine des Schleppers.

Rauchpilz stand über dem Tunnelportal

Die Alarmmeldung um 14.04 Uhr lautete „Fahrzeug-Brand im Baregg-Tunnel Fahrtrichtung Bern“. Gemäss Einsatzkonzept Baregg wurden damit die Ersteinsatzformationen der Feuerwehren Wettingen und Baden gemeinsam aufgeboten. Unmittelbar nach dem Alarm rückten in Wettingen das Ersteinsatzfahrzeug für die Autobahn, das Strassenrettungsfahrzeug (SRF), und in Baden das Tanklöschfahrzeug (TLF) aus.

Bereits bei der Anfahrt zum Baregg wurde den Einsatzkräften durch den gewaltigen schwarzen Rauchaustritt aus dem Westportal klar, dass das Ereignis wohl nicht nur einen einzelnen Autobrand umfasste, sondern Grösseres bevorstand. Auf der Westseite fuhr das TLF von Baden im Einverständnis mit der Polizei in Gegenrichtung auf die Autobahn auf. Da aus dem Tunnel keine Fahrzeuge mehr entgegen kamen, konnte ungehindert bis zum Westportal vorgerückt werden. Vor dem Ostportal hingegen kam der Verkehr innerhalb weniger Minuten vollständig zum Erliegen. Die Fahrzeuge aus Wettingen bahnten sich durch die stehenden Kolonnen einen Weg. Innerhalb des Tunnels wurde das Vorwärtskommen auf den ersten 100 Metern noch mühsamer. Verlassene Personenwagen standen kreuz und quer auf den drei Fahrspuren. Ihre Lenker waren den Radio- und Lautsprecherdurchsagen gefolgt und aus dem Tunnel geflüchtet. Dabei wurde vereinzelt vergessen, die Zündschlüssel stecken zu lassen. Ein paar Autos waren sogar abgeschlossen. Trotzdem fand der Lenker des schmalen SRF relativ schnell eine Gasse für die Weiterfahrt. Ab Mitte Tunnel waren die Fahrbahnen weitgehend frei.

Unterdessen hatte sich der Offizier „Front“ auf der Seite Baden entschlossen, unter Atemschutz mit dem TLF in den rauchgefüllten Tunnel einzufahren. Da oberhalb von einem Meter ab Boden die Sichtverhältnisse massiv eingeschränkt waren, gingen zwei Atemschutzträger links und rechts dem Fahrzeug voraus und lotsten den Lenker durch den Rauch. Gleichzeitig wurde der Tunnel nach liegengebliebenen Personen oder Fahrzeugen abgesucht.

Das TLF von Baden erreichte als erstes den Schadenplatz und traf einen in Vollbrand stehenden Sattelschlepper an. Vor diesem Fahrzeug stand in rund zehn Meter Entfernung ein Anhängerzug, dessen Heck Brand- und Aufprallspuren aufwiesen. In Heck des brennenden Sattelzuges hatte sich ein weiterer Sattelschlepper verkeilt. Aus seinem Zisternenauflieger tropfte eine honigartige Flüssigkeit. Die TLF-Besatzung begann sofort mit den Löscharbeiten mittels eines Schnellangriffs.

Brand schnell gelöscht, Auto unter Schlepper sichtbar

Von Osten her rückte das SRF Wettingen bei problemlosen Sicht- und Rauchverhältnissen vor und traf kurz nach dem TLF Baden als zweites Rettungsfahrzeug am Schadenplatz ein. Der Einsatz der Light-Water-Anlage ab dem SRF dämmte die Flammen schlagartig ein. Gleichzeitig wurde ab SRF die Beleuchtung in den in diesem Abschnitt völlig verdunkelten Tunnel aufgebaut. In der Zwischenzeit versuchte der Einsatzleiter Wettingen mit dem Einsatzleiter Baden Kontakt aufzunehmen, um sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen und das weitere Vorgehen zu koordinieren. Dies gelang weder über den Feuerwehrkanal noch über die Verkehrsleitzentrale der Kantonspolizei Aargau in Schafisheim. Um 14.14 Uhr erfolgte eine Nachalarmierung des Atemschutzes der Feuerwehr Baden.

Die Lagebeurteilung zirka eine Viertelstunde nach der Alarmierung zeigte folgendes: Bereits auf der Anfahrt hatte der Kommandant Baden den Auftrag gegeben, die Tunnellüftung auf Volllast fahren zu lassen, was zu einem wirksamen Rauchabzug im Bereich der Unfallstelle führte. An beiden Portalen wurden geflüchtete Fahrzeuglenker durch Feuerwehren, Sanität und Polizei betreut. Im rauchgefüllten Tunnelabschnitt befanden sich keine Personen mehr.

Die Löscharbeiten am Lastwagen waren unterdessen weitgehend abgeschlossen worden. Erst jetzt zeigte es sich, dass sich offenbar unter dem Lastwagen noch ein Personenwagen befand. Der schwere Schlepper hatte das Auto bis zur Kühlerhaube überrollt. Das Fahrzeug war dermassen zerdrückt und verbrannt, dass keine Hoffnung auf Überlebende bestand.

In dieser Zeitspanne traf über die mittlere Tunnelröhre von Westen das Schwere Löschfahrzeug (SLF) von Baden ein und erstellte über den Fluchtstollen eine zusätzliche Transportleitung. Durch das Ostportal hatte das Universallöschfahrzeug (ULF) und das Pionierfahrzeug (PIF) von Wettingen die Unfallstelle erreicht. Die Fahrzeuge wurden in genügend grossem Abstand vom Schadenplatz positioniert, kamen aber nicht mehr in den direkten Einsatz. Im weiteren wurde das Schlauchverlegefahrzeug (SVF) von Baden in die mittlere Tunnelröhre gebracht und das Hochleistungslüfterfahrzeug erhielt den Auftrag Rauch, welcher durch das Öffnen der Fluchtkammer auf beiden Seiten eingetreten war – für die Löschleitung ab SLF – von Seite Westportal auszublasen.

Rund 25 Minuten nach Alarmierung traf der verantwortliche Offizier der mobilen Einsatzpolizei (MEPO) vor Ort ein und übernahm die Gesamtkoordination. Die in grosser Zahl erscheinenden Medienvertreter wurden vor dem Tunneleingang abgefangen und durch den Infochef der Kantonspolizei begleitet und betreut.

Nach der ersten Phase der Brandbekämpfung und der Feststellung, dass keine erhöhte Explosionsgefahr durch auslaufende Flüssigkeiten oder Fracht bestand, wurde vom Gesamteinsatzleiter als erstes die geordnete Evakuierung der verbliebenen rund 100 Fahrzeuge und deren Mitfahrer im Tunnel angeordnet. Die Feuerwehr Wettingen erhielt den Auftrag die Fluchtstollen Richtung Zürich und die Feuerwehr Baden die Fluchtstollen Richtung Baden nach weiteren Personen abzusuchen. Hier waren auch die Bauarbeiter in der mittleren Tunnelröhre eine wertvolle Hilfe. Sie betreuten in einer ersten Phase die Automobilsten und unterstützten die Kapo und die Feuerwehr bei den Kontroll- und Absucharbeiten.

In Fahrtrichtung Bern wurde die dritte Fahrspur temporär freigemacht, damit die blockierten Fahrzeuge den Tunnel verlassen konnten. Der präventive Brandschutz ab TLF blieb gewährleistet. Ein zweites Augenmerk galt einer grossflächigen Beleuchtung der Unfallstelle, um die Spurensicherung und die Tatbestandsaufnahme durch die Spezialisten der Kantonspolizei zu erleichtern.

Spurensicherung benötigte viel Zeit

Nach der Räumung des Tunnels konnte sich die Einsatzleitung auf das Bergen des eingeklemmten PW, das Umpumpen der ungefährlichen Zuckermelasse – die in der Führerkabine des Zisternen-Sattelzugs aufgefundenen Ladepapiere hatten die Deklaration der honigartigen Flüssigkeit ermöglicht - und die Betreuung der Medien konzentrieren. Die Presse-, TV- und Radioteams wurden vom Info-Offizier der Kantonspolizei geschlossen zur Unfallstelle begleitet. Danach erfolgte eine improvisierte Pressekonferenz. Gleichzeitig wurde vom Baudepartement des Kantons Aargau und dem Unterhaltsdienst eine erste Schadensaufnahme am Tunnel vorgenommen und die ersten Massnahmen eingeleitet, damit der Tunnel möglichst schnell wieder geöffnet werden konnte. Oberhalb der brennenden Fahrzeuge hatte die Hitze bereits zu Absplitterungen der Betondecke geführt, die elektrischen Installationen und die Tunnelbeleuchtung waren auf einer grösseren Distanz geschmolzen. Der Tunnel von der Unfallstelle bis zum Portal West zeigte sich im gesamten Profil rauchgeschwärzt.

Bis zum Abschluss der Spurensicherung und der Tatbestandsaufnahme durch die Unfallgruppe der Kantonspolizei Aargau wurde die Bergung des eingeklemmten Personenwagens hinausgeschoben. Gemäss ersten Zeugenaussagen stand nun fest, dass sich mindestens eine Person im Auto befunden haben musste.

Während beim direkten Ereignis die Arbeiten der Hilfskräfte für einen Moment ruhten, wurde der Feuerwehr Wettingen der Auftrag übertragen, das Umpumpen des leckgeschlagenen Melassetankers mit rund 26 Tonnen Inhalt und den Abtransport der Sattelschlepperladung mit ca. 26 Kubikmeter Inhalt, zu organisieren. Hierfür wurde das Ölwehrfahrzeug der Feuerwehr Wettingen auf den Platz beordert, da nicht klar war ob, ein Ersatzfahrzeug mit entsprechender Umpumpeinrichtung auf den Schadenplatz gebracht werden konnte. Im Weiteren wurde angenommen, dass sich durch das Abkühlen der warmen Melasse das Umpumpen erschweren würde, je länger man damit zuwartete. Die Feuerwehr Baden befahl nach Rücksprache mit der Kapo ihr Muldenfahrzeug mit Kran auf Platz, da inzwischen entschieden wurde, den zerquetschen Personenwagen nicht auf Platz sondern an einem geschützten Ort zu öffnen.

Verkehr bis weit in die Abendstunden blockiert Alle Fahrzeuge, welche für die Bergungs- und Räumungsarbeiten benötigt wurden, konnten nur durch die Begleitung von Polizeieskorten in vernünftiger Zeit auf den Schadenplatz gebracht werden. An ein Durchkommen auf allen Nebenstrassen zwischen Zürich und Lenzburg war nicht mehr zu denken. Der Verkehr war auf allen Achsen komplett zusammengebrochen. Bis weit in die Abendstunden stauten sich die Fahrzeuge in der Grossregion Baden.

Nach der fertigen Bestandesaufnahme der Kapo wurde der Schadenplatz für die Bergungs- und Räumungsarbeiten freigegeben. Nach Anheben des ausgebrannten Zugfahrzeuges durch den Bergungsdienst konnte der Personenwagen nach vorne weggezogen werden. Das Wrack wurde verladen und im Feuerwehrgebäude Baden von einer kleinen Gruppe von Pionieren unter Behördenaufsicht geöffnet. Dabei stiess man auf die Leiche einer älteren Frau. Das TLF von Baden blieb für den Brandschutz weiter auf Platz, die weiteren Fahrzeuge konnten den Rückzug einleiten und retablieren.

Das Umpumpen der Melasse und die Räumungsarbeiten am Sattelschlepper nahmen noch einiges an Zeit und Kraft in Anspruch, bis der Einsatzleiter der Feuerwehr Wettingen sich beim Gesamteinsatzleiter der Kapo abmelden konnte und die restlichen Adf beider Wehren gegen 20 Uhr ebenfalls den verdienten Rückzug antreten durften.

Fazit:

- Bei der Bewältigung dieses Grossereignisses im Baregg-Tunnel hat sich das Einsatzkonzept mit zwei Feuerwehren und zwei Angriffsrichtungen erneut bewährt. Das beidseitige Vorgehen bietet die Gewähr, dass eine Feuerwehr in jedem Fall für ihren Vorstoss eine rauchfreie Zone vorfindet. Hochriskante Fahrten durch rauchgefüllte Tunnelabschnitte lassen sich so vermeiden. Das Alarmaufgebot von zwei voneinander unabhängigen Feuerwehren gibt in allen Tunnel-Situationen die Sicherheit, dass die Unfall- oder Brandstelle schnellstmöglich und mit genügend materiellen und personellen Kräften erreicht wird.

- Einmal mehr hat sich die Regel bestätigt, dass für die Bewältigung eines Tunnelbrandes die ersten zehn Minuten entscheidend sind. Beim Eintreffen der Löschfahrzeuge war der brennende Sattelschlepper bereits weitgehend ausgebrannt. Hätte seine Ladung nicht aus feuerfesten Medizinal-Glasflaschen bestanden, sondern leichter brennbaren Materialien, wäre ein Übergreifen der Flammen auf den Auflieger und die benachbarten Lastwagen wahrscheinlich nicht zu vermeiden gewesen.

- Bei einem derart stark befahrenen Autobahnabschnitt, wie es der Baregg-Tunnel ist, führt ein Brand in einer der drei Röhren innert wenigen Minuten zu einem totalen Verkehrszusammenbruch in beiden Fahrtrichtungen. Der Verkehrskollaps weitet sich schnell auf das gesamte, umliegende Strassennetz aus. Zusätzliche Kräfte und Mittel können nur noch erschwert oder gar nicht mehr zum Einsatzort gebracht werden.

- Der erst im letzten Jahr fertig gestellte, dritte Baregg-Tunnel weist einen hohen Sicherheitsstandard auf. Die an der Tunneldecke montierten Hochleistungslüfter bliesen den Rauch effizient und wirkungsvoll ab. Die an beiden Fahrbahnseiten montierten Notleuchten und die mit zusätzlichen Blitzlichtern markierten Fluchtkammern waren selbst in der rauchgefüllten Zone gut sichtbar.

- Die überdruckbelüfteten Fluchtkammern zwischen den einzelnen Tunnelröhren können nicht für das Verlegen von Löschleitungen verwendet werden. Sobald beide Türen gleichzeitig geöffnet werden, wird die Schleusenwirkung aufgehoben. Gleichzeitig dringt Rauch über die Fluchtkammer in die Nachbarröhre.

- Die Verkehrsteilnehmer sind immer noch zuwenig über das richtige Verhalten bei Tunnelbränden informiert. Es ist den wenigsten Fahrzeuglenkern bekannt, dass sie ihren Wagen unverschlossen und mit steckendem Zündschlüssel zurücklassen sollten. Ein weiteres Problem ergibt sich bei Personenwagen mit schlüssellosen Zentralverriegelungen, die mittels einer Chipkarte drahtlos betätigt werden.

Lehren:

- Die Kommunikation zwischen den von beiden Seiten anrückenden Einsatzkräften (inklusive Polizei und Sanität) bei der Anfahrt muss verbessert werden.

- Im Tunnel braucht es spezielle Einrichtungen, um Funkverbindungen im Feuerwehrnetz von einem Portal zum anderen zu ermöglichen.

- Die Platzierung der eigenen Kommunikationsmittel ist so zu wählen, dass sie auch von den anderen wahrgenommen und kontaktiert werden können.

- Die Verkehrsteilnehmer müssen für das richtige Verhalten bei einem Ereignis auf der Autobahn und im Tunnel besser geschult werden. In die Radio- und Lautsprecherdurchsagen im Tunnelbereich ist der Hinweis „Gasse bilden, Schlüssel stecken lassen“ aufzunehmen.

- Aus der durch den Unfall blockierten Tunnelröhre flüchten Personen in grosser Zahl. Ihre Betreuung und Information muss ausgebaut werden, Die Beschallung der Fluchtkammern und der als Fluchtwege vorgesehenen Tunnel-Röhren ist wichtig, um Verhaltensregeln und Hinweise weitergeben zu können.

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